Es sind knorrige Kerle, und wenn der Frühnebel durch das Rabental kriecht, wirken sie mit ihren Köpfen und wild zu Berge stehenden Haaren fast etwas gespenstisch. Seit zwei Jahrzehnten pflegt die Umweltgruppe Burgwald im Naturschutzbund Deutschland (NABU) zwischen Wiesenfeld und Birkenbringhausen eine Reihe alter Kopfweiden, die sich seitdem zu landschaftsprägenden Baumveteranen entwickelt haben. Alle zwei Jahre werden ihre Äste zurückgeschnitten und im Frankenberger Wildgehege verfüttert – das Stammholz aber wird allmählich immer morscher.
Kopfweiden im Morgennebel: Im Rabental bei Wiesenfeld prägen diese alten Kopfweiden mit bizarren Figuren das Landschaftsbild. Alle zwei Jahre schneiden Burgwalder NABU-Mitglieder ihre Zweige zurück und übernehmen damit die Arbeit der Korbflechter, die früher dort für ihr Handwerk die Weidengerten holten.
„Gerade in diesem Zustand ist die Kopfweide ökologisch besonders wertvoll“, sagt der pensionierte Förster Willy Becker (Ernsthausen), der die Bäume mit seiner Umweltgruppe betreut. „Es haben sich Hohlräume gebildet, die vor allem Vögeln Nahrung und Brutplatz bieten“, berichtet er und zählt dann Wendehals, Wiedehopf oder die Schleiereule auf. Meisen und Spechte finden hier im Winter im faulenden Holz Insektenlarven.
Willy Becker, der mit der Umweltgruppe Burgwald die Wiesenfelder hohl und löchrig gewordenen Kopfweiden betreut, betont ihren Wert für Vögel und Insekten.
Als Beitrag zur Aufwertung der Landschaft durch viele verschiedenartige Biotopformen griff die Burgwalder NABU-Gruppe das Thema Kopfweiden Ende der 1980-er Jahre auf. Aus Weidenpfählen, die ein Wiesenfelder Landwirt vor Jahrzehnten einmal entlang eines Bachlaufes zur Einzäunung seiner Wiese eingeschlagen hatte, hatten sich riesige Weidenbäume entwickelt, deren schwere Äste immer wieder abbrachen. Sie wurden alle auf den Stamm zurückgesetzt, und die im Frühjahr austreibenden Äste dann regelmäßig zurückgeschnitten. So entstanden daraus die Kopfweiden.
Die Zweige werden bis auf den Stamm zurückgeschnitten.
Ältere Einwohner der Region erinnern sich heute noch daran, wie im Frankenberger Land im Bereich der Eder und an ihren Nebenflüssen früher viele Kopfweiden die Landschaft bestimmten. Sie waren das Ergebnis einer alten Wirtschaftsform: Die Korbflechter schnitten alljährlich die für ihr Handwerk benötigten frischen Weidengerten ab und sorgten so für die vom Menschen geprägte besondere Wachstumsform des Baumes.
Auch spezielle Pilzarten laugen den morschen Kopfweidenstamm immer weiter aus und zersetzen das Holz.
Kopfweiden sind Lebensraum für viele Tiere. Alte, dickstämmige Weiden können von mehr als 400 Insektenarten bewohnt werden. Im morschen Weichholz leben viele gefährdete Käferarten wie Moschusbock, Pappelbock und Weidenbock, auch die die Raupen des Weidenbohrer-Falters. Durch den Kopfweidenschnitt und die Zersetzungsarbeit der Pilze, das ist in Wiesenfeld gut zu sehen, entstehen im Laufe der Jahre große Löcher und Baumhöhlen. Hier brüten Fliegenschnäpper, Grauschnäpper, Weidenmeisen, Feldsperlinge und Rotschwänze. Daneben finden auch Fledermäuse, Steinkauz und sogar Turmfalken gute Nistmöglichkeiten. Und nicht zuletzt legen selbst Wiesel und Marder hier ihre Baue an. Im zeitigen Frühjahr sind es Blütenkätzchen, die den Bienen eine erste Weide bieten.
Wetter, Pilze und Insekten setzen den Bäumen zu und lassen bizarre Formen und einen wertvollen Lebensraum entstehen.
Apropos gespenstisch: In Sage und Brauchtum spielten die Weiden, deren natürlicher Lebensraum an Moor oder Fluss für den Menschen immer auch Gefahren barg, eine große Rolle. Goethe schildert sie in seinem schaurigen Gedicht vom „Erlkönig“ („Es scheinen die alten Weiden so grau“), Günther Eich spricht von den Weiden gar als „verwachsenen Weibern, gebeugt mit zottigem Kopf, zerlumpt sind ihre Röcke“. Für Bertolt Brecht ruft „in diesen Frühjahrsnächten oft das Käuzlein“ in den Weiden. Über die Kopfweiden im Wiesenfelder Rabental gibt es noch kein Gedicht. Aber das Käuzchen hört man manchmal schon.
Fotos
© Karl-Hermann Völker